Der Preistraeger 1972 - Janusz Korczak

1972 wird der Friedenspreis des Deutschen Buchhandels zum ersten Mal posthum verliehen. Der Stiftungsrat waehlt den polnischen Arzt, Kinderbuchautor und Paedagogen ]anusz Korczak zum Traeger des Friedenspreises. Die Verleihung findet waehrend der Frankfurter Buchmesse am Sonntag, 1. Oktober 1972, in der Paulskirche zu Frankfurt am Main statt. Die Laudatio haelt Hartmut von Hentig. Den Preis nimmt Alicja Szalazak stellvertretend entgegen.
1972 Janusz Korczak

Begruendung der Jury

Der Boersenverein verleiht seinen Friedenspreis 1972 posthum an

Janusz Korczak.

Er ehrt damit einen Mann, der gleichermassen als Arzt, Erzieher und Schriftsteller fuer das Kind und seine Rechte eingetreten ist. Die seine Erziehungsarbeit darstellenden und begruendeten Werke antworten einer ungerechten, ungluecklichen, friedlosen und doch zu mehr Gerechtigkeit, Glueck und Frieden faehigen Welt.

Den Erwachsenen hat er die Veraenderung dieser Welt zugemutet; den Kindern hat er sie zugetraut: an sie wenden sich seine liebenswuerdigsten und zugleich kuehnsten Buecher. Er hat der alten Sehnsucht nach einer neuen Ordnung zwischen den Generationen und nach Frieden unter den Menschen jeglicher Art und Herkunft Kraft und eine bis heute wirkende Chance gegeben.

Seine Gedanken hat er nicht nur in Wort und Schrift vetreten, sondern er ist fuer sie mit dem Leben eingestanden: den ihm anvertrauten Kindern hat er auch angesichts des Todes die Treue gehalten.

 
Chronik des Jahres 1972

+++ Das Jahr 1972 beginnt mit dem »Radikalenerlass«, der ein Berufsverbot fuer mutmassliche Verfassungsfeinde im oeffentlichen Dienst vorsieht. Der Schriftsteller Heinrich Boell warnt vor einer Überreaktion des Staates und kritisiert die Berichterstattung in der Bild-Zeitung. Er geraet selbst in den Verdacht, ein »Sympathisant« der Terroristen zu sein. In Stockholm wird er im Dezember mit dem Nobelpreis fuer Literatur ausgezeichnet. +++ Im nordirischen Londonderry eroeffnen Ende Januar britische Soldaten das Feuer auf katholische Buergerrechtler, die an einer verbotenen Demonstration teilnehmen. Dabei werden 13 Zivilisten getoetet. Die »Irisch-Republikanische Armee« (IRA) verstaerkt seit diesem »Bloody Sunday« ihre Terroranschlaege. +++ US-Praesident Nixon kuendigt im Mai die Verminung der nordvietnamesischen Haefen an. Eine Woche darauf veruebt die RAF einen toedlichen Bombenanschlag auf das US-Korps in Frankfurt. Ende Mai folgt ein Anschlag auf das Hauptquartier der US-Armee in Heidelberg, bei dem drei Soldaten sterben. +++ Andreas Baader, Holger Meins und Jan Carl Raspe werden am 1. Juni nach einem Schusswechsel mit der Polizei festgenommen, in den folgenden zwei Wochen verhaftet die Polizei auch Gudrun Ensslin und Ulrike Meinhof. +++ Die Olympischen Spiele in Muenchen werden im September von einem Terroranschlag ueberschattet: Mitglieder der palaestinensischen Organisation »Schwarzer September« ueberfallen die Unterkunft des israelischen Teams, toeten zwei Menschen und nehmen die Sportler als Geiseln. Sie fordern die Freilassung von 200 palaestinensischen Gefangenen in Israel. Bei der Befreiungsaktion sterben fuenf Terroristen und alle neun Geiseln. Ende Oktober entfuehren arabische Terroristen eine Lufthansa-Maschine. Die an Bord befindlichen Passagiere werden gegen drei in Muenchen inhaftierte Attentaeter ausgetauscht. In Israel kommt es daraufhin zu heftigen antideutschen Reaktionen. +++ Bundeskanzler Willy Brandt stellt Ende September die Vertrauensfrage. Bei den vorgezogenen Bundestagswahlen wird die SPD erstmals stimmstaerkste Partei, Willy Brandt wird erneut Bundeskanzler einer SPD / FDP-Koalition.

Aus der Friedenspreisrede

»Meine Damen und Herren, die posthume Verleihung des Friedenspreises an Janusz Korczak ist Ausdruck dieser Sehnsucht aller Menschen nach einem besseren Leben, einem schoeneren Leben, in dem die Kinder der ganzen Welt, aller Rassen, Religionen und Nationen, heute und fuer immer frei gedeihen koennen, ohne zu wissen, was Hunger, Mord und Krieg bedeuten; nach einem Leben, in dem das Waisenkind in jedem Menschen einen Vater und eine Mutter finden kann, die sich freundlich seiner annehmen, ihm zuhoeren und ihm helfen.

Der Friedenspreis fuer Janusz Korczak ist eine Huldigung fuer den grossen Paedagogen, der seine Pflicht gegenueber den ihm anvertrauten Kindern so verstanden hat, wie auf der ganzen Welt Vaeter und Muetter sie verstehen, fuer die das Kind der groesste Schatz ist.

Der Alte Doktor besiegelte die Wahrheiten seines Lebens mit dem freiwilligen Tod. Er haette sein Leben retten koennen. Doch zog er vor, die Menschenwuerde und das Vertrauen der Kinder zu seinem Erzieher zu retten. Haette er denn diese Waisen verlassen koennen, die ahnungslos in den Tod gingen?

Sein Entschluss war die natuerliche Konsequenz der Grundsaetze, nach denen er gelebt und die er seinen Zoeglingen vermittelt hatte. Darin liegt die Groesse dieses Menschen.« (Alicja Szalazak)

 
Laudatio Hartmut von Hentig